Im Konflikt mit den Gegebenheiten

Einige Gedanken zur Anti-Erdoğan-Demonstration in Wien

1.5264011Im Zusammenhang mit dem Auftritt von Recep Tayyip Erdoğan am 19.06. in Wien rief ein Bündnis von zahllosen Initiativen, Parteien und Organisationen zu einer Protestdemonstration auf.

Eigentlich eines jener Geschehnisse in Wien, die wir im Normalfall meiden würden und das aus gutem Grund. Denn in der Vergangenheit war es meist so, dass die größte Gefahr bei solchen Massendynamiken nicht die Polizei darstellte, sondern die DenunziantInnen und selbsternannten BullInnen in den vermeintlich eigenen Reihen.Am Treffpunkt gab es jede Menge Redebeiträge von verschiedenen türkischen, kurdischen und österreichischen Gruppen. Die letzte Rednerin, die am Pult stand, stellte erst einmal klar, dass es zum Demokonsens gehören würde sich nicht zu vermummen. Danach wurde die Einteilung der Blocks verlesen. Zum Schluss ließ sie verlautbaren, dass alle Personen, die zu keinem der Blocks gehören würden, sich am Ende der Demonstration einfinden sollten.

Ein Demozug mit ca. 10.000 Personen setzte sich in Bewegung. Weit und breit keine BullInnen. Dafür jede Menge OrdnerInnen, die von den verschiedenen Gruppen aus dem Bündnis gestellt wurden. Bei der U-Bahnstation Vorgartenstraße wurde das Lokal Ilkim von einigen Personen angegriffen. Der Inhaber ist Sympathisant der AKP und hatte angefangen einige TeilnehmerInnen der Demonstration anzupöbeln. Es gab einen kurzen Pfeffersprayeinsatz der Polizei, dann schirmten sie das Lokal ab und alles ging seinen gewohnten Gang weiter.

Einige Personen wurden vorübergehend von den BullInnen angehalten. Dabei versuchten die OrdnerInnen alle diejenigen, die sich in diese Situation einmischen wollten, davon abzuhalten und erklärten, dass sie alles unter Kontrolle hätten.

Der Rest des Weges bis nach Kagran verlief bis auf ein paar kleinere Provokationen von Seiten einiger österreichischer FaschistInnen, die sich am Straßenrand im Schutze der Polizei positionierten, ohne weitere Komplikationen. Und wenn es dazu gekommen wäre dann hätten die OrdnerInnen schon für Ruhe gesorgt …

Eine nach außen kämpferisch wirkende Demo, die innerlich so hohl war, wie die Politik, die die einzelnen Gruppen betreiben. Wenn man am 19.06. anwesend war, beschlich einem das Gefühl, dass hier mehr im Gange ist, als nur eine Demo gegen den ‚Besuch‘ von Erdoğan. Es war eine Werbeveranstaltung für die türkische Opposition, mit Unterstützung verschiedener Parteien und Sekten der österreichischen Linken, denn die Wahlen stehen bekanntlich vor der Türe. Eine andere Regierung, wie diese auch zusammengesetzt sein mag, würde wieder nur ihre Vorherrschaft versuchen zu zementieren. Eine Dynamik, die der Politik eigen ist, und die wir als AnarchistInnen tausende Male prophezeit und tausende Male damit recht gehabt haben.

Die Regeln der Repression sagen uns auch, dass man auf die Quittung für eine sich in der Defensive verschanzende Bewegung nicht lange warten muss. Nachdem die OrganisatorInnen bis zum Schluss versuchten alles unter Kontrolle zu halten, um alle Formen der Eskalation zu vermeiden, schlug am Ende, unter dem Schutz der Polizei, die Reaktion zu. Nachdem sich die Abschlusskundgebung langsam aufzulösen begann und viele den Ort des Geschehens verlassen hatten, griffen OrdnerInnen und TeilnehmerInnen von Seiten der AKP-SympathisantInnen über einige Seitenstraßen an. Personen, die auf sie trafen, wurden versprügelt. Die BullInnen kesselten außerdem die Reste der Kundgebung, nahmen einige Personen fest und setzten wieder Pfefferspray ein. Das war das ruhmvolle Ende eines Protestes, der sich selbst alle Fesseln auferlegt hat.

Wir waren 10.000, die einen Spaziergang vom Praterstern nach Kagran gemacht haben. Nicht mehr und nicht weniger…

Wir sind in allen Aspekten unseres Lebens zu Nummern degradiert. Vor allem auch dann, wenn wir uns weigern, die angebotenen…, nein die vorgeschriebenen Funktionen und Positionen in den Hierarchien der Politik, Gesellschaft und Ökonomie einzunehmen. Im Kampf müssen wir uns als freie Menschen fühlen, wenn die Revolte eine subversive sein soll. Diejenigen, die sich zu den Kollaborateuren der Macht machen, indem sie die Rollen des Zwanges reproduzieren, machen sich damit auch zu unseren FeindInnen, indem sie versuchen, uns den Weg zur unvermittelten Revolte abzuschneiden. Um uns genauso zu degradieren, wie es die Politik, die Wirtschaft, die Wissenschaft, die Kultur und die vielen AkteurInnen der sozialen Domestizierung jeden Tag tun, an dem wir ein Leben der Vereinnahmung und Entfremdung führen.

Viele werden sagen: ‚Das hätten wir euch gleich sagen können…‘ oder ‚So ist das eben…‘, sie argumentieren mit Gleichgültigkeit und Gelassenheit. Doch nicht mit einer Gelassenheit, die jene Konsequenzen in Kauf nimmt, die sich in jeder revolutionären Auseinandersetzung ergeben werden, sondern mit einer Gelassenheit, die die bestehenden Regelwerke dieses Kampfes akzeptiert.

Es geht hier nicht um die Entsolidarisierung mit einer der vielen Ideen des Widerstandes, es geht auch nicht um das Erringen einer Vormachtposition innerhalb eines spezifischen Kampfes an einem bestimmten Tag in unserem Leben. Es geht um den Bruch mit der Logik der Herrschaft innerhalb der Kämpfe, die wir hier versuchen zu führen.

Eine Demonstration benötigt – und hält sie sich zu 100% an die vom Staat vorgegebenen Bahnen – niemals OrdnerInnen, es gibt schlicht keine juristische Verpflichtung dazu. OrdnerInnen auf Demos stellen heißt also, überangepaßt die Logik der Autorität und Herrschaft zu reproduzieren und innerhalb von Protest und widerständigem Handeln ein Regime von HilfsbullInnen zu installieren.

Deeskalation und Kontrolle der RebellInnen in den eigenen Reihen bedeutet immer auch Kollaboration mit dem Feind!

Deshalb zelebriert keine Einigkeit, die euch verbietet als Individuen zu kämpfen und zu leben.

Die Revolte ist zügellos! Bleibt unkontrollierbar!

AnarchistInnen

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